Orientierung
Träume sind wie verdichtete kleine Geschichten. Sie bringen etwas ins Bild, bevor es sich in klare Sätze fügen kann. Häufig zeigen sie eine Atmosphäre – gedrängt, weit, hell, klebrig, lautlos –, die mehr über das innere Erleben erzählt als jede Deutung. In der Therapie interessiert daher weniger „Was bedeutet das korrekt?“, sondern: Was berührt mich hier? Was wird im Erzählen spürbar? Manche Träume begleiten einen Prozess über längere Zeit und tauchen in Variationen wieder auf; andere sind flüchtige Gäste, die nur eine Stimmung streifen. Beides ist in Ordnung. Wichtig ist der Faden, den ein Traum anbietet: eine Farbe, eine Szene, ein Satz, der hängen bleibt. Diese Fäden müssen nicht logisch sein; sie sind Anknüpfpunkte, an denen das Eigene Form gewinnen kann. Träume sind keine Prüfungsaufgabe. Es gibt nichts „richtig“ zu berichten und nichts „falsch“ zu verstehen. Entscheidend ist, dass die Bilder Nähe zu dem bekommen, was gerade innerlich bewegt – ohne Druck, alles erklären zu müssen.
Behutsames Arbeiten
Wir gehen maßvoll vor. Wenn ein Traum etwas öffnet, nehmen wir den Faden auf – so weit, wie es gut tragbar ist. Wenn er nichts öffnet, lassen wir ihn stehen. Es gibt keine Pflicht, Träume mitzubringen, und keine Erwartung, sie auszuschmücken. Der Maßstab ist immer: Dient das dem aktuellen Anliegen? Fühlt es sich sicher an? Oft entsteht beim Erzählen ein eigenes Tempo: Pausen, Brüche, das Ringen um Worte. Das ist kein Hindernis, sondern Teil der Arbeit. Manchmal sind es gerade die Zwischentöne – ein stockender Satz, ein kurzer Seitenblick, eine Geste –, die anzeigen, wo ein Traum an etwas Heutiges rührt. Wir bleiben dort, solange es sinnvoll ist, und gehen weg, wenn das innere System Schutz braucht. Deutungen halten wir leicht. Keine Schablonen, keine Symbollexika. Wenn Bilder Sprache brauchen, suchen wir Worte, die passen, nicht Worte, die beeindrucken. Wenn Wörter zu viel sind, reicht manchmal die Stimmung: „So fühlt es sich an.“ Das genügt. Es kommt vor, dass Träume schweigen – über Wochen, Monate. Auch das ist in Ordnung. Der Raum bleibt offen; wir zwingen nichts herbei. Und es kommt vor, dass Träume plötzlich lauter werden, wenn Vertrauen gewachsen ist. Dann zählt dieselbe Haltung: Tempo, Maß, Respekt.
Wie Träume sich mit dem Alltag berühren
Träume bringen selten Lösungen, aber sie können Orientierung geben: Sie zeigen, wo etwas eng, übervoll, verlockend, traurig, zu hell, zu dunkel, zu laut ist. Diese Hinweise sind keine Befehle; sie laden dazu ein, das heutige Erleben feiner wahrzunehmen. Manchmal zeigt ein Traum, was sich in Beziehungen wiederholt; manchmal beleuchtet er eine Sehnsucht, die im Alltag kaum Platz findet; manchmal markiert er schlicht Überforderung. Wichtig: Wir übersetzen die Bilder nicht in Aufgaben. Es geht um Verständlichkeit, nicht um To-do-Listen. Wenn ein Traum im Inneren etwas sortiert, hat er seinen Zweck erfüllt – selbst dann, wenn er nach außen hin unspektakulär bleibt.